07.05.2025 09:00 AM

KI-Agenten im Bankwesen: Was schon möglich ist – und was noch kommt

Autonome KI-Systeme, die eigenständig Entscheidungen treffen und Prozesse steuern? Was nach Science-Fiction klingt, ist für Banken das nächste Innovationsfeld. In diesem Beitrag zeigt Bala Nagaraj, warum KI-Agenten gerade jetzt relevant sind, welche technologischen Grundlagen bereits stehen – und wie Institute konkret profitieren können. Ein Blick auf Chancen, Herausforderungen und das nächste Level der Digitalisierung im Finanzsektor. Titelbild AI mit einem Chip

Warum KI-Agenten gerade jetzt relevant sind

Sie gelten als das „Next Big Thing“ in der KI-Entwicklung: KI-Agenten. Was heute noch nach Zukunft klingt, ist längst Realität – und bietet gerade für Banken enorme Chancen. Dieser Beitrag zeigt, was KI-Agenten auszeichnet, welche Entwicklungsschritte sie durchlaufen und wie Banken bereits heute technologisch, strategisch und operativ profitieren können.

Agenten auf Basis Künstlicher Intelligenz sind autonome Softwareeinheiten, die ihre Umgebung wahrnehmen, Entscheidungen treffen und Handlungen ausführen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Der entscheidende Unterschied zu früheren Formen von KI: Sie handeln weitgehend selbstständig und erfordern nur minimale menschliche Freigabe mehr für den letzten Schritt. Damit unterscheiden sie sich grundlegend von Co-Pilot-Systemen oder dem Human-in-the-Loop-Ansatz, bei dem die KI lediglich Vorschläge liefert, die anschließend von Menschen geprüft oder bestätigt werden.

Mit dem Aufkommen von leistungsfähigen Sprachmodellen (LLMs) und standardisierten Schnittstellen (APIs) sind die maschinellen und technologischen Voraussetzungen vorhanden, um die Agenten nicht nur zu konzipieren, sondern tatsächlich umzusetzen. Agenten können heute auf bestehende Tools zugreifen, Informationen aus ihrer Umgebung interpretieren und auf dieser Basis handeln und als Assistent interagieren. Das eröffnet nicht nur neue Effizienzpotenziale, sondern hat das Potenzial, ganze Prozesse, komplexe Aufgaben, Rollenbilder und Geschäftsmodelle im Finanzwesen zu transformieren.

Was KI Agenten ausmacht

Um das Potenzial dieser Technologie zu verstehen, lohnt sich ein genauer Blick auf ihr Innenleben. Ein KI-Agent besteht aus:

  1. einem Toolset zur Interaktion mit der Außenwelt, Beispiele sind Datenbanken, Web-Schnittstellen oder auch Robotersteuerungen.
  2. einem Memory, um aus vergangenen Entscheidungen in den Datenmengen in Echtzeit zu lernen,
  3. einer Environment-Schnittstelle, um Kontext zu erkennen. Das können Datenströme,  Sensoren oder andere Eingaben sein, die ihm helfen, den aktuellen Kontext zu verstehen und darauf zu reagieren.
  4. und einem Brain – meist ein leistungsfähiges Sprachmodell (LLM) –, um die Entscheidungen zu treffen

Reifegrad der Künstlichen Intelligenz: Von regelbasiert bis hochintelligent

KI-Agenten durchlaufen verschiedene Entwicklungsstufen – von einfachen regelbasierten Tools und einfachen Aufgaben bis hin zu lernenden, generativen, kollaborativen Systemen. Aktuell bewegen wir uns überwiegend in den mittleren Reifegraden (Level 2–3).

Ein Überblick über die sechs Stufen zeigt das enorme Entwicklungspotenzial dieser Technologie:

Eine Tabelle, die sechs Stufen von KI-Agenten von Stufe 0 bis Stufe 5 zeigt. Jede Stufe enthält die Spalten für KI-Agententyp, Beschreibung und Beispiel.

Wie sich das Ökosystem für KI-Agenten formiert

Ein AI Agent ist kein fertiges Produkt, sondern eine Technologie – und daher nicht als klar abgegrenzter Markt fassbar. Trotzdem lohnt sich ein Blick auf das entstehende Ökosystem und die Investitionen: 2024 wurden weltweit über 100 Milliarden US-Dollar in KI-Startups investiert – viele davon mit Fokus auf KI-Agenten und natürlich verschiedenste KI-Modelle. Das Ökosystem gliedert sich aktuell in drei Ebenen:

Foundation Layer: Diese Schicht umfasst die technologische Infrastruktur – etwa Runtime Environments, APIs und große Sprachmodelle wie ChatGPT  (OpenAI), Claude (Anthropic) oder Gemini (Google).

Agent Platforms: Hier entstehen Frameworks und Toolkits zur Entwicklung, Kombination und Orchestrierung von KI-Agenten. Beispiele: LangChain (Entwicklung & Orchestrierung), AgentOps (Überwachung & Steuerung), CrewAI (Multi-Agenten-Koordination).

Application Layer: Einsatzbereite KI-Agenten für konkrete Anwendungsfälle – häufig als SaaS-Lösungen. Beispiele: PolyAI (Voicebots), Numbers Station  (Datenanalyse), Finster AI (Investments) oder Lovable (App-Entwicklung).

Ein dreischichtiges Architekturmodell für KI-Agentensysteme. Die oberste Schicht ist die ‚Application Layer‘, die vorgefertigte Agenten für bestimmte Anwendungsfälle umfasst, etwa für Kundenservice oder Finanzanalyse. Die mittlere Schicht ist ‚Agent Platforms‘, welche Frameworks und Tools zur Erstellung, Koordination und Verwaltung von Agenten bietet. Die unterste Schicht ist die ‚Foundation Layer‘, die technologische Infrastruktur wie APIs, Datenplattformen, Cloud-Dienste und Speicher umfasst.

Wo die Verwendung von KI-Agenten im Bankgeschäft echten Mehrwert stiften

KI-Agenten eröffnen Banken vielseitige Einsatzmöglichkeiten – sowohl intern, um Prozesse effizienter zu verwalten und bestehende Produkte zu optimieren, als auch an der Kundenschnittstelle, um das Nutzererlebnis neu zu definieren. Ein anschauliches Beispiel ist der Kreditvergabeprozess – ein datenintensiver Vorgang mit vielen Einzelschritten.

Hier können KI-Agenten entlang der gesamten Prozesskette echten Mehrwert schaffen:

Eine horizontale Darstellung von fünf Phasen im KI-Lebenszyklus: 1. Qualifikation 2. Use-Case Assessment 3. KPI Definition 4. Use-Case Realization 5. Ongoing Monitoring

Der große Fortschritt liegt nicht in der Automatisierung einzelner Schritte, sondern in ihrer Orchestrierung. Wenn spezialisierte Agenten sinnvoll zusammenarbeiten, entsteht ein adaptiver Gesamtprozess – skalierbar über einzelne Produkte hinaus. Für Kund:innen ist das Erlebnis dann vielleicht nicht mehr persönlich, aber hochgradig personalisiert – oft sogar mehr als bei einem menschlichen Berater und dem Kundenservice.

Herausforderungen bei der Verwendung: Warum KI-Agenten klare Regeln und Kontrolle brauchen

So viel Potenzial KI-Agenten auch bieten – ihre Implementierung bringt technologische, regulatorische und ethische Herausforderungen mit sich. Gerade weil diese Systeme autonom handeln, braucht es neue Kontrollmechanismen und eine realistische Einschätzung und das Vorhersagen ihrer Fähigkeiten.

Datenqualität: Die Qualität der Entscheidungen hängt direkt von der Güte der Daten ab. Veraltete oder verzerrte Daten führen zu Fehlern.

Bias und Fairness: Wie alle LLM-basierten Systeme bergen auch KI-Agenten das Risiko von Verzerrungen – durch Trainingsdaten oder implizite Annahmen. Im Finanzbereich kann dies zu diskriminierenden Ergebnissen führen. Banken müssen sich ihrer eigenen Vorurteile bewusst werden, um diese nicht unbewusst an die KI weiterzugeben.

Fehlentscheidungen: Auch KI-Agenten können irren – besonders in unbekannten Situationen. Deshalb sind Feedbackschleifen und klare Eingriffsprozesse nötig.

Regulatorik: Automatisierte Entscheidungen unterliegen strengen Vorgaben. Datenschutz, Verbraucherschutz und Aufsichtspflichten müssen berücksichtigt werden. Gleichzeitig befindet sich auch die Regulierung selbst in einem Lernprozess.

Kontrollmechanismen: Da KI-Agenten eigenständig Entscheidungen treffen, braucht es übergeordnete Strukturen – z. B. Supervisor-Agenten oder eine Human-in-the-Loop-Instanz bei kritischen Anwendungen.

Nur wenn Banken diese Herausforderungen ernst nehmen und zugleich neue Wege beschreiten, können sie das volle Potenzial ausschöpfen. Denn Fortschritt entsteht nicht durch Theorie, sondern durch praktisches Handeln, Testen, Reflektieren und Lernen.

Fokus KI-Agent: Was Banken jetzt tun können – und was morgen möglich ist

Auch wenn viele Entwicklungen rund um KI-Agenten noch am Anfang stehen, können Banken schon heute aktiv werden. und Agenten nutzen. Drei strategische Handlungsfelder stechen hervor:

  • High-Impact Use Cases identifizieren: Statt sofort umfassend zu skalieren, sollten sich Banken auf Prozesse mit hohem Potenzial konzentrieren – z. B. Kreditvergabe, Compliance oder Kundeninteraktion.
  • Agenten-Infrastruktur vorbereiten: Eine frühzeitige, modulare und sichere Architektur schafft die Grundlage für spätere Skalierung. Entscheidend sind eine robuste Datenbasis, transparente Logiken und ein qualitätssichernder Rahmen.
  • Mit Partnern und Pilotprojekten starten: Durch Kooperation mit Open-Source-Initiativen, Startups oder Innovationseinheiten lassen sich praxisnahe Tests mit geringem Risiko und hohem Lernwert durchführen.

Jenseits der ersten Projekte zeichnen sich bereits folgende Perspektiven ab:

  • Hyperpersonalisierung: KI-Agenten passen Produkte, Kommunikation und Entscheidungen dynamisch und individuell an – weit über klassisches Marketing hinaus.
  • Agenten als Kundenschnittstelle: Die Interaktion mit Banken könnte sich auf Agent-zu-Agent-Kommunikation verlagern und Aufgaben ausführen – auf beiden Seiten.
  • Disruption ganzer Prozesse: Agenten könnten nicht nur beraten, sondern Prozesse eigenständig ausführen, verbessern und so Geschäftsmodelle tiefgreifend verändern.

AI Agents: Was heute zählt, wenn morgen anders wird

Die Entwicklung von KI-Agenten verläuft rasant – technologisch wie praktisch. Und dennoch stehen wir erst am Anfang. Viele Fragen sind offen, vieles wird sich erst in der Praxis zeigen – und dabei neue Fragen aufwerfen.

Gerade deshalb ist jetzt der richtige Moment zum Einstieg. Nicht mit dem Anspruch, alles sofort perfekt zu machen, sondern mit dem Ziel, Erfahrungen zu sammeln, Risiken zu verstehen und Potenziale verantwortungsvoll zu erschließen.

Denn eines ist sicher: Die Finanzwelt von morgen wird anders sein als die von heute – und sie wird von denen gestaltet, die heute bereit sind, neue Wege zu gehen und KI-Anwendungen zu implementieren.

Dafür braucht es eine realistische Haltung: eine Balance zwischen Vision und Machbarkeit. Weder blinder Fortschrittsglaube noch starres Festhalten am Status quo sichern die Zukunft einer Bank.

Die Entwicklungsgeschwindigkeit nimmt weiter zu und fordert vor allem eines: Anpassungsfähigkeit – von jeder Bank. Auch von dir.

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